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Das Ende der Einsamkeit: Smart Care Made in China

3. Juni 2022 Veröffentlicht von Jana Greyling

Zu Beginn des Lockdowns meldeten sich weltweit viele Senioren zum ersten Mal bei Zoom an, um mit ihren Familien in Verbindung zu bleiben oder online Lebensmittel zu bestellen. Oma und Opa lernten, wie Online-Banking funktioniert und dass digitale Zahlungen mit dem Smartphone keine Raketenwissenschaft ist. Zu Beginn des zweiten Jahres der Pandemie stand die Generation der digitalen Senioren bereits relativ sicher auf ihrem Surfbrett und bewegte sich ohne Hilfe im Netz. Und das nicht nur ab und zu, sondern stundenlang. Laut dem Nachrichtenportal people.cn bewegten sich 30 Prozent der älteren Nutzer:innen mehr als drei Stunden täglich im Netz, zehn Prozent sogar mehr als sechs Stunden pro Tag. Diese Beispiele aus China stehen stellvertretend für eine Entwicklung, die weltweit zu beobachten ist. Die Generation 60 plus wird immer digitaler, das Internet ist nicht länger Terra Incognita, wie Bitkom Chef Achim Berg es formulierte. Das Internet ist Teil einer gerade erst entdeckten Lebensqualität, und die verspricht Bequemlichkeit und Einfachheit. Gerade im asiatischen Raum, wo die Überalterung der Gesellschaft besonders schnell voranschreitet und die Regierungen gegensteuern müssen, um die digitale Kluft nicht größer werden zu lassen, sind diese Entwicklungen besonders gut zu beobachten. Daraus können westliche Gesellschaften ihre Schlüsse ziehen und entsprechend gegensteuern, damit auf der digitalen Agenda ganz oben auch die Senioren stehen.

Freund oder Feind? Chinas Silver Surfer schätzen Komfort und Service.

Digitale Unterstützung durch altersgerechten Service

Diese Beispiele verdeutlichen, worum es geht. So konnte z.B. zu Beginn der Pandemie eine ältere Frau ihre Krankenversicherung nicht mit Bargeld bezahlen, weil die Verantwortlichen befürchteten, dass ihr Geld das Virus enthalten könnte. Die Frau, die Mobile Payment nicht auf ihrem Smartphone eingerichtet hatte, blieb ratlos im Servicecenter zurück. In einem anderen Fall wurde ein älterer Mann aufgefordert aus dem Bus auszusteigen, er konnte dem Fahrer den Gesundheitscode auf der App, der in China in der Öffentlichkeit notwendig ist, nicht zeigen weil er kein Handy besaß.

In China altert die Gesellschaft besonders schnell. Die Zahl der Chinesen über 60 Jahre sei seit 2010, laut Pekings Statistikamt, um 5,4% auf 264 Millionen gestiegen. Damit ist heute knapp jeder fünfte Chinese schon über 60 Jahre alt, das sind ca. 18,7% der gesamten Bevölkerung. Experten schätzen, dass die Zahl der älteren Menschen in China bis 2050 voraussichtlich 380 Millionen erreichen wird. Das sind fast 30% der Bevölkerung. Zum Vergleich, Anfang des Jahres 2021 zählte die EU insgesamt rund 447 Millionen Einwohner. Aufgrund dieser Entwicklung steht China unter Druck und muss schnell und umsichtig handeln. Vor allem ist es wichtig, ältere Menschen digital zu unterstützen und das passiert gerade überall. So bieten Technologieunternehmen Schulungen und Unterstützung an, um älteren Menschen die Integration in das digitale Zeitalter zu erleichtern.

Die chinesischen Apps Taobao, Youku und Ele.me haben maßgeschneiderte Schnittstellen, um den Bedürfnissen der silberhaarigen Generation gerecht zu werden, einschließlich größerer Skripte und einer optimierten Benutzererfahrung.

Technologieunternehmen schulen ältere Menschen im Umgang mit Smartphone und Mobile Payment, und das direkt im Geschäft. Ausgesuchte Technologien werden speziell an ältere Menschen angepasst, um deren Lebensqualität zu verbessern.

Neue Angebote für digitale Senioren

Der Online-Marktplatz Taobao der Alibaba Group hatte bereits 2018 den Kanal „Taobao for Elders“ auf den Markt gebracht, um z.B. die Kontoregistrierung und App-Navigation für Senioren leichter und zugänglicher zu machen. Ende letzten Jahres hat dieser nun ein Update bekommen. Die neue Version der Shopping-App wurde noch stärker auf die Bedürfnisse der älteren Benutzer zugeschnitten. Der „Seniorenmodus“ von Taobao bietet größere Texte und größere Symbole, vereinfachte Navigation und eine Sprachsteuerung, die es Senioren ermöglicht, mithilfe von Sprachbefehlen nach Produkten zu suchen. In der Taobao-App finden die digitalen Senioren zusätzlich Services und Trainingsprogramme wie z.B. Online-Shopping und Online-Zahlungen, oder die Buchung von Online-Arztterminen sowie eine spezielle Kundendienst-Hotline. Die Homepage hebt Spiele hervor, die bei älteren Benutzern beliebt sind, darunter das Baba Farm -Programm, bei dem Benutzer virtuelle Ernten pflegen, um Rabatte für landwirtschaftliche Produkte freizuschalten.

Es ist nicht verwunderlich, dass Alibaba seine Plattformen und Dienstleistungen für den Silbermarkt kontinuierlich verbessert. Denn dessen Wert wurde vom China National Committee on Ageing schon 2020 auf 3,79 Billionen RMB (588 Milliarden US-Dollar) geschätzt. Ältere Menschen werden für die Wirtschaft wahrscheinlich „sehr, sehr bald“ sogar noch wichtiger sein als die Generation Z, prognostiziert China-Marketingexpertin Ashley Dudarenok. Nach Angaben der Nationalen Stiftung für Sozialwissenschaften wird der Markt der über 60-Jährigen bis zum Jahr 2050 ein Volumen von 100 Billionen Yuan (13,9 Billionen Euro) erreichen und damit 33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Chinas ausmachen.

Ein anderes Beispiel ist Ele.me, ein Lieferdienst für Essen, den Alibaba bereits 2016 für über eine Milliarde Dollar kaufte. „Ele.me – der Name bedeutet auf chinesisch so viel wie „Hast du Hunger?“ – ermöglicht es Nutzern, via Smartphone-App Gerichte aus Restaurants und Cafés in ihrer Umgebung zu bestellen. Diese werden dann von Ele.me zum Kunden nach Hause oder an den Arbeitsplatz gebracht. Ele.me ist in China sehr beliebt. Für einige Restaurants ist die Lieferung von Lebensmitteln ein wichtiger Bestandteil ihrer Geschäftstätigkeit, und mit dem jüngsten Ausbruch des neuartigen Coronavirus hat sich diese Entwicklung noch verstärkt.

Das Ende der Einsamkeit

Weil die Jüngeren fehlen, sucht das Land nach praktischen Lösungen: Zentrale Datenerfassung, Bewegungssensoren und Mini-Roboter – Maschine statt Mensch. Pilotprojekte zeigen, wie in Zukunft die Betreuung der Alten in China aussehen könnte. Wegen steigender Lebenserwartung und gleichzeitig sinkender Geburtenrate droht China eine Vergreisung. Während früher Kinder und Enkel für die Alten sorgten, sollen in Zukunft auch Mini-Roboter ran. Der Fünfjahresplan der Kommunistischen Partei verheißt Chinas Seniorinnen und Senioren das Ende der Einsamkeit und einen unbeschwerten Herbst des Lebens. Für diese Zeiten plant China. Und die chinesische Lösung: Betreuung durch Technik. In riesigen Kommandozentralen laufen unzählige Gesundheitsdaten in Echtzeit ein. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, löst der Computer Alarm aus und das Call-Center übernimmt, ruft an, fragt, ob der Betreute Hilfe braucht.

Zentrale Daten-Überwachung der alten Menschen

„Hier laufen die Daten von etwa 160.000 Senioren zusammen: Ihr Blutdruck, die Herzfrequenz, ihre Bewegungen und vieles mehr. Die Zukunft der Altenbetreuung, wie sie sich China vorstellt. “Wir analysieren auch den Verbrauch von Wasser und Elektrizität bei den Alten”, erklärt Zhai Weikang von der Stadtverwaltung in Tianjin. “Die Familienangehörigen bekommen die Daten auch geschickt, um zu wissen, wie die Lage ist. Wenn der Wasserverbrauch plötzlich stoppt, löst das einen Alarm aus.” Hightech-Ingenieure wie Weikang sind gefragte Experten. China droht eine Überalterung. In keinem anderen Land dreht sich die Alterspyramide so schnell wie hier.“

Wie der Weltspiegel letztes Jahr in einer Reportage berichtetet, ist „die Plattform in der ostchinesischen Millionenstadt Tainjin eines von über zweihundert Pilotprojekten des Landes. Ein Vorzeigeprojekt – entsprechend viele Offizielle begleiten die Dreharbeiten. In einer Wohnanlage haben sie die 65jährige Liu Xiuhua für ein Interview ausgesucht. Sie führt uns durch ihre Wohnung. “Das nennt man Infrarot-Detektor, schau mal, der ist angegangen! Wenn Sie sich hier nähern, geht das rote Licht an. Wenn in einem bestimmten Zeitraum, z. B. über 24 Stunden, keine Bewegung von einer Person festgestellt wird, gibt er diese Information an Ihre Kinder oder die Gemeindemitarbeiter weiter.” Alle Geräte hat Liu gratis bekommen – weil sie sich so früh am Pilotprojekt beteiligt hat. Das smarte Armband gehört auch dazu. Es ist mit dem Mini Roboter im Wohnzimmer verbunden.

Smart Care Made in China

Die Reportage kann man sich hier auf Youtube ansehen. Auch wenn die digitale Kluft nicht über Nacht geschlossen werden kann, das Land bereitet sich vor, „Wenn der Roboter nach Oma schaut“. Darin heißt es u.a.: „Es ist Zeit für deine Tabletten, tönt es aus dem weißen, runden Ei mit Kulleraugen. Es ist der sprechende Mini-Roboter der 65-jährigen Liu Xiuhua. Sie hat ihn seit zwei Monaten und ist begeistert. Denn der kleine Helfer hört ihr zu und registriert fürsorglich, was sie zu Hause tut. Er kann sogar beantworten, wo Frau Liu ihren Haustürschlüssel hingelegt hat, falls sie selbst es wieder mal vergessen hat. Am Handgelenk trägt die Seniorin ein Armband, das ihren Blutdruck, die Herzfrequenz und ihre Temperatur misst; es zählt zudem ihre Schlafstunden und Schritte. Falls es Unregelmäßigkeiten gibt, wird Lius Sohn über eine Handy App informiert. Auch wenn ihr Wasser- oder Elektrizitätsverbrauch unnormal ist, wird Alarm ausgelöst. Die Daten gehen parallel bei der Stadtverwaltung von Tianjin ein. Auf einem gigantischen Bildschirm, etwa so breit wie ein Tennisplatz, sind alle Informationen aufbereitet.“ In Deutschland ist man noch nicht soweit, Datenschutz und Datensicherheit erlauben es derzeit nicht, solche gigantischen Datenmengen zu sammeln. Wenn es um Smart Home und Smart Care geht, ist der Verbraucher weitestgehend auf sich allein gestellt. Die Digitalisierung der Verwaltung hat in Deutschland gerade erst begonnen. Laut einer Studie des Münchner Ifo-Instituts vom November letzten Jahres steht Deutschland international hier eher im Mittelfeld. „Die öffentliche Verwaltung betrachtet sie sogar als unterdurchschnittlich. „Nachholbedarf zeigt sich vor allem bei der Nutzerfreundlichkeit, zwischenbehördlichem Datenaustausch und bei digitalen Verwaltungsangeboten für Unternehmen“, wie die Welt schreibt und sich hierbei auf die Autoren der Studie bezieht.

Chinas Seniorenmedizin entstand bereits Mitte der 1950er Jahre. Nach dem staatlichem Plan für die Entwicklung der Seniorenarbeit und dem System der Altenpflege während des 13. Fünfjahresplans sollen bis 2020 in mehr als 35 Prozent der Kliniken der Klasse II. oder höher Abteilungen für Seniorenmedizin errichtet werden. Zwischen 2022 und 2030 soll der Anteil von 50 und 90 erhöht werden.

„Gleichzeitig hat sich das System der Altenpflege kontinuierlich verbessert,“ schreibt Radio China International auf seiner Webseite.  „Mit der Maßnahme „Medizinische Versorgung plus Altenpflege” will das Land effektiv mit dem Problem der beschleunigten Alterung umgehen. Zurzeit wird in 90 chinesischen Städten das Modell „Medizinische Versorgung plus Altenpflege” getestet. Gegründet wurden rund 4000 entsprechende Institutionen.“

Neues Leben im Metaversum

Eine wachsende Zahl älterer Menschen in Asien wendet sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verstärkt sozialen Medien, Online-Spielen und anderen Internetdiensten zu, da sie mehr Zeit zu Hause verbringen, so lautet das Fazit einer Umfrage von Euromonitor mit dem Titel: “Top 10 Global Consumer Trends 2022”.

Etwa 10 % der befragten älteren Menschen in der Region gaben dabei an, dass sie Virtual-Reality-Headsets besitzen, mit denen sie das “Metaverse” erkunden können, die wachsende Galaxie von Online-Erfahrungen, die als die nächste Stufe des Internets angepriesen wird. In Nordamerika und Europa liegt der Anteil bei etwa 2%.

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