Klaus Weßing im Interview: Gigaset ist hervorragend für die Zukunft aufgestellt
9. Juli 2018 Veröffentlicht von Raphael DoerrDie Aussichten für Gigaset sind ausgezeichnet. Doch das war nicht immer so. Den Wendepunkt brachte eine schwierige Entscheidung, die das Unternehmen Ende 2015 treffen musste und deren Auswirkungen zur Herausforderung für den damals neuen CEO Klaus Weßing wurden.
Im ersten Halbjahr 2015 sackte der Umsatz von Gigaset um 3 % auf 143 Millionen Euro ab, während zeitgleich der Markt für DECT-Telefonie (digital verbesserte schnurlose Telekommunikation), traditionell das wichtigste Nischenprodukt von Gigaset, immer weiter schrumpfte und schließlich völlig einbrach.
Angesichts solch düsterer Aussichten schienen die Tage des deutschen Telekommunikationsunternehmes gezählt. Gigaset konnte sich nicht mehr ausschließlich auf sein Kerngeschäft, die DECT-Telefonie, verlassen.
Daher traf das Unternehmen im November 2015 die schwierige und drastische Entscheidung, im Verlauf der folgenden drei Jahre 550 Stellen zu streichen – fast die Hälfte der damals 1.250 Mitarbeiter starken Belegschaft. Etwa die Hälfte des Stellenabbaus entfiel auf die Unternehmenszentrale in München und den Standort Bocholt.
Erste große strategische Neuausrichtung
Einen Monat später wurde Klaus Weßing zum neuen CEO von Gigaset ernannt und zum Vorstandsvorsitzenden berufen. Bei Antritt des Postens hatte Weßing nur eines im Blick – Stabilisierung. Der Stellenabbau, die erste große strategische Neuausrichtung seit der Trennung von Siemens vor mehr als zehn Jahren, sollte darüber entscheiden, ob Gigaset sich auf dem Weg zu einer stabileren, nachhaltigen Zukunft befand.
Gigaset begründete den Schritt damit, dass die Kürzungen Effizienzsteigerungen bewirken würden, insbesondere bei den internen Abläufen zwischen Produktion und Vertrieb. „Wir mussten das Unternehmen stabilisieren, um dessen Zukunft zu sichern“, so Weßing. „Selbstverständlich löste die damit einhergehende Ungewissheit enorme Unruhe im Unternehmen aus.“ Zeitgleich mit der Ernennung von Weßing zum CEO wurde auch Hans-Henning Doerr als CFO in den Vorstand von Gigaset berufen.
Hinzu kam, dass Gigaset zu diesem Zeitpunkt den expandierenden Smartphone-Markt nicht länger ignorieren konnte – eine Sparte, mit der das Unternehmen seit der Trennung von Siemens nicht mehr in Berührung gekommen war und in der es erst im Dezember 2016 wieder aktiv wurde. „Wir mussten das Unternehmen stabilisieren, um seine Zukunft zu sichern.“
„Wir werden verstärkt in neue Wachstumsfelder investieren und auch die Digitalisierung im Unternehmen und in unserem Lösungsportfolio vorantreiben“, fährt Weßing fort. „Digitalisierung hat das Potenzial, uns bei unserem Ziel zu unterstützen, unsere Kunden auch weiterhin mit nachhaltigen und maßgeschneiderten Kommunikationslösungen der Spitzenklasse zu begeistern.“ Bei Gigaset ist man sich bewusst, dass ein grundlegender strategischer Kurswechsel reiflich überlegt sein sollte.
Umsetzung längst überfälliger Themen
Besonders deutlich kam dies im Aktionärsbrief zum Geschäftsbericht 2016 zur Sprache. Hier ein Auszug: „Es galt, längst überfällige Themen umzusetzen, die das Unternehmen schwer belasteten. Ebenso musste offengelegt werden, dass gesetzte und lang versprochene Ziele in den Wachstumsbereichen Home Networks und Business Customers nicht erreicht worden waren. Die Reputation von Gigaset stand auf dem Spiel.“
Die weitere Entwicklung hat die umfangreiche strategische Neuausrichtung von Gigaset gerechtfertigt. Die vorläufigen Zahlen für das GJ2017 zeigen durchgehend eine Erhöhung des konsolidierten Umsatzes um 3,9 % auf 293,3 Millionen Euro im Vergleich zu 2016, während das EBITDA um 4,4 % auf 26,1 Millionen Euro gestiegen ist.
„Wir haben das Unternehmen in den letzten zwei Jahren grundlegend neu aufgestellt und unsere neue operative Strategie mit Ausrichtung auf neue Wachstumsfelder wie Mobilgeräte und Business-Telefonie umfassend umgesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass Gigaset auf Wachstumskurs ist – zum ersten Mal seit Jahren“, erklärt Weßing stolz. „Wir haben das Unternehmen in den letzten zwei Jahren grundlegend neu aufgestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass Gigaset auf Wachstumskurs ist.“
Investition in langfristige Partnerschaften
Gigaset pflegt umfangreiche, teilweise seit mehr als 20 Jahren bestehende Lieferantenpartnerschaften in China und betreibt eine Niederlassung in Shanghai. Die Fortsetzung dieser Partnerschaften mit China ist von zentraler Bedeutung für die künftige Nachhaltigkeit des Unternehmens.
„Wir beziehen etwa 70 % unserer Elektronikkomponenten aus China“, so Weßing. „Das dortige Team arbeitet hervorragend mit unserem F&E-Team vor Ort zusammen.“ Den Partnerschaften mit China kommt ferner eine Schlüsselrolle bei dem Bestreben von Gigaset zu, relevante Marktanteile in der Smartphonebranche zu erobern.
Die alteingesessenen Smartphone-Giganten Apple und Samsung haben in den letzten Jahren deutlich an Dominanz eingebüßt. Derzeit sind es chinesische Player wie Huawei, Oppo und Vivo, die den Großteil des Smartphone-Marktes ausmachen.
Das Portfolio von Gigaset bietet mehr als 1.600 Produktvarianten (250 davon erschienen alleine im letzten Jahr), und umfasst dabei nicht nur DECT-Telefone, sondern auch Smartphones und Smart Home-Zubehör wie Alarmsysteme, Rauchmelder und Bewegungsmelder.
„Anders als viele andere Mitbewerber in der Telekommunikationsbranche produzieren wir Hardware, die deutlich länger hält als nur ein Jahr“, betont Weßing. „Grundvoraussetzungen dafür sind eine hohe Affinität für erstklassige Qualität, Konzeption und Prozesse sowie der Einsatz nachhaltiger Technologien, die langlebig, leicht und recycelbar sind und einen geringen CO2-Fußabdruck aufweisen. Anders als viele Mitbewerber produzieren wir Hardware, die deutlich länger hält als nur ein Jahr.“
Neue Strategie und eine Fülle von Chancen
Die neue Strategie von Gigaset zahlt sich aus – ganz konkret für die Aktionäre und im übertragenen Sinn für den Vorstand. Dem Unternehmen ist aber auch bewusst, dass es seine Kernidentität nicht ganz aufgeben kann und darf. Daher hält Gigaset an dem Produkt fest, das ihm überhaupt erst zu einer führenden Position verholfen hat: dem DECT-Telefon.
„Uns bietet sich eine Fülle von Chancen, ganz gleich ob im Bereich Smartphones, Business-Telefonie oder Future Communication. Unser Unternehmen ist hervorragend für die Zukunft aufgestellt. Doch obwohl diese neuen Segmente ein enormes Wachstumspotenzial für Gigaset bereithalten – DECT-Telefone sind unser Kerngeschäft und werden es auch bleiben“, betont Weßing. Nach der überwundenen Talfahrt liegt Gigaset heute klar auf Erfolgskurs und kann wieder gewohnt selbstbewusst und siegessicher in die Zukunft blicken.
Diese Text ist eine Übersetzung eines Interviews, das mit Klaus Weßing im CEO Magazine geführt wurde. Sie können das Original-Interview auf Englisch hier einsehen.
