Senioren und die moderne Technik: Fehlt die Digitalkompetenz?
19. Juli 2021 Veröffentlicht von Raphael DoerrEine Meldung die zunächst verwirrt: Mehr als die Hälfte der Menschen über 65 Jahren in Deutschland nutzt kein Smartphone. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie der Initiative «Digital für alle», die vom Digitalverband Bitkom kürzlich veröffentlicht wurde. Demnach verwenden 53 Prozent der Befragten über 65 Jahren kein Computertelefon. Wenn man diese Aussage liest, könnte man geneigt sein zu fragen, warum? Nutzen die Senioren*innen lieber sogenannte Senioren Handys oder haben sie einfach keine Lust „always on“ zu sein und die Vorteile der digitalen Normalität zu leben?
Ein Vorteil hätte es, kein Smartphone zu benutzen: Sie müssten kein digital Detox machen, und lernen, dass es auch ein Leben ohne Smartphone gibt. Doch wie bei allen Umfragen und Studien relativiert sich das Bild, wenn man tiefer in die Zahlenmaterie eindringt. Denn in der Altersgruppe zwischen 65 und 74 Jahren liegt der Anteil nur noch bei 36 Prozent. Zum Vergleich: In der gesamten Bevölkerung gaben lediglich 21 Prozent an, kein Smartphone zu verwenden – weder privat noch beruflich. Doch auch andere Geräte und Technologien spielen keine große Rolle im Alltag der älteren Generation. Nur die Hälfte der Seniorinnen und Senioren nutzt einen Laptop (53 Prozent) oder einen Desktop-PC (50 Prozent) und gerade mal 9 Prozent sind im Besitz einer Smartwatch.
Die Studie wirft natürlich ein paar Fragen auf. Sind Deutschlands Senioren und Seniorinnen „Technikmuffel“, Smartphone-Leugner oder gar Digitalisierungs-Verweigerer? Oder sind Smartphones und damit verbunden all die Apps und digitalen Technologien zu kompliziert geworden, um verstanden und damit im Alltag genutzt zu werden? In diesem Blogbeitrag versuchen wir daher der Sache auf den Grund zu gehen und schauen uns ein paar wichtige Aspekte genauer an.
Fangen wir mit den digitalen Technologien und der damit verbunden digitalen Kompetenz an. Doch was heißt digitale Kompetenz eigentlich und was genau versteht man darunter? „Unter digitaler Kompetenz wird die Fähigkeit verstanden, sich in der digitalisierten Welt zurechtzufinden und diese aktiv mitzugestalten.“ Für die Techniker Krankenkasse besteht eine gut ausgeprägte Digitalkompetenz aus vielen verschiedenen Mosaiksteinen. „Sie tragen dazu bei, dass sich ein Mensch in einem digitalen Umfeld souverän bewegt. Als digital kompetent zeigt sich ein Anwender einerseits, wenn er in der Lage ist, ein digitales Programm oder Hilfsmittel zu bedienen.“ Das ist machbar und wird selbstverständlich auch im Alltag von vielen Senior*innen erfolgreich gemeistert, doch es bleibt eine gewisse Skepsis gegenüber den digitalen Technologien bestehen. Dies geht aus zwei Umfragen im Auftrag des Digitalverbandes Bitkom hervor. Grundlagen der Erhebungen sind zwei Befragungen von Deutschen ab 65 Jahren im Januar und Juli 2020 – mit jeweils mehr als 1.000 Teilnehmern. Doch wie der neueste Bericht des BMFSFJ “Ältere Menschen und Digitalisierung” zeigt, ist es nicht die Technik selbst ist, die ältere Menschen vor Probleme stellt. Vielmehr ist es der Umgang mit dieser Technik.
Aufräumen mit Vorurteilen
In den USA werden täglich 4.600 Menschen 65 Jahre alt. Die Idee, dass diese Altersgruppe technik-avers ist, sei ein Mythos, sagt Derek Holt, Präsident und Chief Operating Officer von K4Connect, einem auf Senioren ausgerichteten Technologieunternehmen. „Senioren mögen Technik. Sie interessieren sich nur für andere Funktionen.“ Sie tendieren jedoch zu anderen Arten von Geräten als jüngere Menschen. Laut Pew Research besaß 2019 z.B. weniger als ein Viertel aller Amerikaner eine Smartwatch . Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigte, dass ältere Amerikaner an Gesundheitsdaten interessiert sind, sich jedoch nicht mit Wearables oder Smartwatches beschäftigen, da sie der Ansicht sind, dass diese Geräte nicht für ihre Ansprüche entwickelt wurden. In der Studie gaben ältere Amerikaner beispielsweise an, dass es ihnen schwer fällt, die winzigen Symbole und Schriftgrößen zu erkennen, die Smartwatches dominieren.
Ganz anders sieht es z.B. bei der Benutzung von Sprachtechnologien wie Alexa, Siri und Co. aus. Aus verschiedenen Untersuchungen geht hervor, dass gerade die über 65-Jährigen von digitalen Sprachhelfern wie Alexa, Siri oder Google Assistant sehr angetan sind. Kalifornischen Senioren etwa fragen ihre Sprachassistenten gerne nach der Uhrzeit und dem Wetterbericht, aktivieren ihren Lieblingsradiosender, um Nachrichten zu hören, lassen sich an Termine oder die Tabletteneinnahme erinnern, regulieren die Heizung, schalten das Licht ein oder aus, spielen Musik ab und kommunizieren mit Freunden oder der Familie per Sprachbefehl. Andere nutzen Alexa als Wörterbuch oder für Wissensfragen.
Senioren, die das Internet bereits benutzen, schreiben bevorzugt E-Mails (96 Prozent), suchen nach Infos über ihre Interessen (93 Prozent), lesen Nachrichten (88 Prozent) oder nutzen es, um Waren zu bestellen (72 Prozent) und Bankgeschäfte (69 Prozent) zu erledigen. Netflix, Instagram, Facebook, Spotify und Co. sind hingegen offenbar zahlreichen Senioren keinerlei Begriff. Nur 44 Prozent gaben im Juni an, Serien, Filme oder Videos online anzuschauen. 40 Prozent nutzten Videotelefonie und nur 34 Prozent interessierten sich für die Sozialen Netzwerke. Dabei ist die Nutzung eines herkömmlichen PCs am verbreitetsten unter Senioren. 54 Prozent verwenden einen Desktop-Computer, 42 Prozent einen Laptop und 20 Prozent Tablets. 41 Prozent nutzen zudem ein Smartphone, während 25 Prozent noch mit Handy ohne Touch-Display auskommen.
Digitalkompetenz für den digitalen Alltag
„Die Corona-Krise hat gezeigt, wie groß der Stellenwert von Smartphones in der Gesellschaft ist – ob für die Kontakt-Nachverfolgung oder für die Registrierung im Geschäft. Wer kein Smartphone nutzt, wird häufig davon ausgeschlossen“, warnt etwa Anna-Lena Hosenfeld, Geschäftsführerin der Initiative „Digital für alle“. „Gerade durch die Pandemie werden digitale Technologien in vielen Lebensbereichen zunehmend unverzichtbar. Eine Erkenntnis, die viele Politiker und Experten teilen. Es fehlt nicht an Angeboten, wie etwa der bundesweite Digitaltag letztes Jahr zeigte. 27 Organisationen aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft, Wohlfahrt und öffentliche Hand versammelten sich unter der Initiative „Digital für alle“ und warben in mehr als 1.400 Aktionen für mehr digitale Teilhabe. Hier wurde mit vielfältigen Aktionsformaten die Digitalisierung aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Doch genügt ein Aktionstag, um die Bereitschaft und die damit auch die Akzeptanz der älteren Generation sich mit digitalen Technologien auseinanderzusetzen, zu steigern? Kritiker betonen, dass in Deutschland beim Thema digitaler Kompetenzaufbau gerade für Senior*innen vielerorts noch immer eine Art „Kleckerkultur“ besteht. Das heißt, über Einzelinitiativen hinaus mangelt es oftmals an einer einheitlichen und damit nachhaltigen Strategie. Wie es anders gehen kann zeigt ein Blick nach Schweden.
Auch dort hat man sich die Frage gestellt: Wie könnte man der älteren Generation den Umgang mit der Online-Welt näherbringen? Die Idee: Eine TV-Sendung, die diesbezüglich Nachhilfe gibt, wäre eine sinnvolle Lösung, um auch Menschen fortgeschrittenen Alters den digitalen Alltag näherzubringen. Und so gibt es im Schwedischen Fernsehen jetzt eine spezielle Sendung, um Senioren fehlendes Wissen zu vermitteln und ihnen praktische Nachhilfe für das digitale Alltagsleben zu geben. Die TV-Sendung heißt „Senioren-Surfer“ und wer zum Beispiel nicht weiß, was eine App ist und wonach man danach suchen soll, bekommt in diesem Format auf solche Fragen die richtigen Antworten, wie es geht gezeigt. Digitales Wissen für Senioren einfach erklärt und vermittelt, wird in Schweden immer wichtiger, denn hier ist Bargeld schon fast ausgestorben, bezahlt wird via Smartphone und Bank-ID App. Damit legitimiert man sich bei allen möglichen digitalen Diensten: von der Schul-App bis hin zur Gesundheits-Ärzte-App. Wer sich da nicht einloggen kann, ist so gut wie raus. Auch Parkautomaten sind vielerorts durch Apps ersetzt und wer Einkaufen, Shoppen oder ein Lokal besuchen will, benötigt wie bei uns eine App. Schweden zeigt wohin die Reise geht, auch bei uns: das Leben wird zunehmend digitaler, ohne Smartphone und App geht nicht viel, egal ob bei Bankgeschäften, Coronatest- und Impfterminen, Einkaufen, zum Essen gehen, oder ins Theater. Und zukünftig gewinnt das Smartphone noch mehr an Bedeutung: nämlich wenn der digitale Impfpass kommt. Wer älter ist und die digitalen Möglichkeiten nicht kennt oder nicht nutzt, hat es da schwer. Was für die Jungen praktisch und normal ist, wird für die ältere Generation oftmals zu einem ein Hindernis.
Bei uns gibt es zwar kein entsprechendes Fernseh-Angebot, dafür aber den Digital-Kompass, der kostenfreie Angebote für Seniorinnen und Senioren rund ums Internet anbietet. An 100 Standorten deutschlandweit unterstützen ehrenamtliche Internetlots*innen ältere Menschen dabei, digitalen Angebote auszuprobieren. Das Angebot wird zwar genutzt, erreicht aber längst nicht alle Senioren-Surfer in Schweden. Dennoch sieht die Mehrheit der Senioren die Digitalisierung nicht als Gefahr sondern als Chance, wie die Grafik zeigt. Mit dieser Ansicht sind sie aber nicht allein, Untersuchungen der DIVSI U25-Studie zeigen, dass junge Menschen zunehmend skeptisch sind, in einer Welt zu leben, welche nur noch durch digitale Dienste und die Möglichkeiten von Onlinekommunikation bestimmt wird. Daran wird deutlich, dass digitale Kompetenz auch durch die kritische Anwendung oder den Verzicht auf die Medien bestimmt wird.
Einer Umfrage des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (Bitkom) aus dem Herbst vergangenen Jahres zufolge wird von fast 70% der Älteren das Internet zwar »als Chance« begriffen, allerdings nutzt nur jeder zweite Mensch über 65 das Internet auch tatsächlich. „Auch wenn das Internet unter älteren Menschen kaum zusätzliche Fans gewonnen hat: Wer sich einmal in die digitale Welt bewegt hat, möchte sie nicht mehr missen“, betont Bitkom-Präsident Achim Berg, die Ergebnisse der Studie. Sechs von zehn älteren Internetnutzern (62 Prozent) können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen. Und fast alle (94 Prozent) konnten dank des Internets ihr Wissen erweitern. Drei von vier (76 Prozent) hilft das Internet dabei, gedanklich fit zu bleiben. Und auch diese Zahl lässt aufhorchen, fast jeder dritte Onlinekäufer sei im vergangenen Jahr älter als 60 Jahre gewesen, wie eine Verbraucherstudie des des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel (BEVH) zeigte.
Das Smartphone ist nach wie vor dabei
Vor allem das Smartphone ist bei vielen Senioren ein ständiger Begleiter, auch wenn die aktuellen Umfragezahlen des IT-Branchenverbands Bitkom, wie eingangs erwähnt, dies nicht vermuten lassen. Vier von zehn Menschen ab 65 nutzen ein solches Gerät. Sogenannte Senioren-Handys mit extra großen Tasten entpuppten sich dagegen eher als Ladenhüter. Kein Wunder, immerhin gilt in diesem Fall die Redewendung „Es zählt nicht, wie alt du bist, sondern wie du alt bist“ – und die wenigsten Senioren wollen gerne altbacken wirken.
Die Enkel entscheiden
Wenn das alte Handy den Geist aufgibt, dann entscheiden oft die Enkel was Oma und Opa in Sachen Smartphone brauchen und was wichtig ist. Schließlich kennen die sich mit Technik aus. Doch was meist unterschätzt wird: Im Gegensatz zu den Enkeln, die mit Smartphones großgeworden sind, und permanent die Dinger in Händen haben, setzen ältere Menschen andere Ansprüche und sie begeistern sich nur bedingt für das Online-Streamen, für Online-Serien oder Soziale Medien. Das zeigt das Beispiel der Apple Watch: Mehr an medizinischen Funktion oder Sicherheitsfunktionen wie der Sturzerkennung, Notruf SOS oder Herzüberwachung geht nicht, fasst alles kann hier gemessen werden. Und obwohl damit die Apple Watch sich sehr gut für Senioren eignet, wird diese bei der Zielgruppe nicht so stark nachgefragt. Die Gründe dafür haben wir ja kurz beschrieben. Hersteller, Rategeber und Einsteiger-Kauf-empfehlungen betonen immer wieder, wie wichtig es für ältere Menschen ist, dass die Geräte leicht zu bedienen sind und über ein gut lesbares Display verfügen aber das können alle Smartphones inzwischen.
Wer ein spezielles Senioren-Smartphone kauft, legt Wert auf einfache Bedienung und übersichtliche Funktionen. Der Stern schreibt dazu, dass „Senioren-Smartphones sich durch große Tasten, eine einfache Bedienung, eine gut strukturierte Menüführung und diverse Zusatzfunktionen wie beispielsweise die SOS-Taste oder die Kompatibilität mit Hörgeraten auszeichnen. Die Handys für Senioren sind bei der älteren Generation beliebt, da sie hilfreich bei Seh- und Hörschwächen sind.“ Gerade im Alter ist es wichtig, erreichbar zu sein und unterwegs mit der Familie oder Freunden in Kontakt zu stehen.
Soweit so gut, alle diese Punkte sind richtig und bekannt und alle Hersteller haben dies auch erkannt und weitestgehend in den verschiedenen Modellen, die angeboten werden, umgesetzt. Wichtiger aber wird es sein Oma und Opa zukünftig nach dem Kauf nicht allein zu lassen, sondern den Umgang mit dem Smartphone und vor allem mit den wichtigen Apps immer und immer wieder zu üben. Genauso wie man das beim Surfen machen muss. Die FAZ bringt es auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Das Surfen gehört zu den schwierigsten Sportarten der Welt. Man braucht viel Geduld, bis man Körper und Geist auf den unvorhersehbaren Bewegungsrhythmus der Wellen so eingestimmt hat, dass ein sicherer Ritt möglich ist. Das Erlernen der richtigen Technik dauert manchmal ein ganzes Leben lang. Als „Silver Surfer“ werden im küstennahen amerikanischen Sprachgebrauch ältere Damen und Herren bezeichnet, die zwar nur noch schwer aus dem Auto kommen, aber eine ehrwürdige Ruhe ausstrahlen, sobald sie auf ihrem Surfbrett stehen und so gelassen in die „Barrels“, die fassähnlichen Mittelpunkte der brechenden Wellen, hinfahren wie in einen leeren Alpentunnel.“ Im Marketingjargon und in der Werbung werden „Silver Surfer“ gerne als Paradebeispiel für zaghafte Internet-Nutzer hergenommen, und mit Eigenschaften wie Inkompetenz und Unsicherheit belegt. „Nur jeder dritte Befragte jenseits der siebzig fühlt sich angeblich souverän beim Surfen im Netz. Die meisten der in Verruf gebrachten „Silver Surfer“ werden von den Wellen, die dort mit jedem Klick über ihnen zusammenschlagen, anscheinend regelmäßig in die Tiefe des Netzraums hinabgerissen und japsen dort verzweifelt nach Luft.“
Es wird Zeit dieses Bild zu revidieren und Senior*innen mit ihren digitalen Ansprüchen und Erwartungen ernst zu nehmen. Nicht nur die Enkel sind dabei gefragt, der älteren Generation zu zeigen, warum Smartphones immer wichtiger werden, was Apps heute alles können und wo man sie im Alltag benötigt. Das fängt z.B. mit einem gemeinsamen digitalen Rundgang durch das Viertel der Großeltern an, hier bieten sich sicherlich genügend Möglichkeiten, um ihnen den Mehrwert von Smartphones zu zeigen und nicht nur theoretisch per Gebrauchsanweisung zu erklären. Möglichkeiten und Angebote, wie z.B. den „Wegweiser durch die digitale Welt“ für ältere Bürger und Bürgerinnen von der BAGSO gibt es genügend. Man sollte sie konsequent nutzen und einüben, sonst wird das schwer werden mit der digitalen Kompetenz und Teilhabe und dem selbstbestimmten, digitalen Leben.
2 Kommentare
Dankeschön, es ist sehr interessant.
Mir wurde drei Mal meine Smartphone gestohlen.
Wie sollten wir vorgehen??
Haben Sie bitte, einen guten
Typ ,Ratschlägen für uns!?
Dankeschön, im voraus!
Hallo Maria,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Es tut und leid, dass Ihr Smartphone gestohlen wurde. Wenn es sich um ein Android- Smartphone handelt, gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die Sie einleiten können. Diese sind ausführlich auf verschiedenen Webseiten beschrieben. Hier finden Sie gute Tipps für ein verlorenes oder gestohlenes Smartphone: https://support.google.com/accounts/answer/6160491?hl=de
VG