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Shot of pretty young woman crossing the street while listen to music with the wireless earphones. Quelle: iStock.com/nensuria

Smartphone-Nutzung: Kopf Hoch für das Digital Wellbeing

21. Juni 2021 Veröffentlicht von Raphael Doerr

Smartphone-Nutzung: Jeder von uns kennt die Geschichte vom „Hanns Guck-in-die-Luft“:

„Wenn der Hanns zur Schule ging, stets sein Blick am Himmel hing. Nach den Dächern, Wolken, Schwalben schaut er aufwärts, allenthalben: Vor die eignen Füße dicht, ja, da sah der Bursche nicht. Also dass ein jeder ruft: „Seht den Hanns Guck-in-die-Luft!“

Kam ein Hund daher gerannt; Hännslein blickte unverwandt In die Luft. Niemand ruft: „Hanns! gib acht, der Hund ist nah!“ Was geschah? Pauz! Perdauz! — da liegen zwei! Hund und Hännschen nebenbei.“

Als der Arzt Dr. Heinrich Hoffmann 1844 in seinem Struwwelpeter die Geschichte vom Hanns schrieb, gab es keine Smartphones. Aber würde man Hanns in unsere heutige Zeit beamen, dann hätte Hanns definitiv ein Smartphone in der Hand. Und er würde beim Gehen auch nicht mehr in die Luft gucken, sondern auf sein Handy und tief versunken Facebooken, Whatsappen oder Videos streamen. Das Ergebnis aber wäre heute wie damals das Gleiche: er fällt über den Hund oder stolpert in einen Fluss. Möglicherweise würde er dabei auch hoppeln wie ein Hase und die Leute würden rufen: schaut das ist Hanns, der Smombie.

Wobei wir auch schon bei unserem Thema für diesen Blogbeitrag wären: Wer beim Gehen auf sein Handy schaut, der lebt zwar den Zeitgeist, gefährdet aber auch sich und andere. Es sei denn er hätte schon „Watch your Step with Heads Up“ von Google auf seinem Smartphone. Doch der Reihe nach. Beginnen wir mit dem Hoppeln.

Das mit dem Hoppeln ist kein Witz, sondern das Ergebnis intensiver Untersuchung. Wissenschaftler der Anglia Ruskin Universität im englischen Cambridge kamen in einer Studie zu der Erkenntnis, [1]dass Menschen, die ihr Smartphone beim Gehen benutzen, anfangen zu hoppeln. Ja, Sie lesen richtig. Wenn Sie Ihr Handy als Fußgänger verwenden, sehen Sie dabei anscheinend aus wie ein Häschen. Grund dafür ist, dass sich der Gang dieser Menschen verändert. Handy-Nutzer entwickeln laut der Studie einen speziellen Gang, eine besondere Sprungtechnik, um es zu vermeiden, über Hindernisse zu stolpern. Zusätzlich wählten die Probanden eine Art vorbeugende Strategie: Ihren vorangehenden Fuß haben sie höher und langsamer über das Hindernis gehoben, um nicht zu stolpern. Handy-Nutzer reagieren auf Hindernisse deutlich langsamer. Ihr Fuß agiert 40 Prozent langsamer als bei Nicht-Handy-Nutzern.

Der vorbeugende Mechanismus, den Handy-Nutzer beim Gehen verwenden, verändert ihren Gang. Dadurch sieht es ein wenig aus als würden sie wie ein Kaninchen hoppeln. Das sieht aber nicht nur komisch aus, es kann aufgrund der verringerten Aufmerksamkeit zu Schmerzen und Unfällen führen. „Das große Risiko sind hier plötzlich erscheinende Gefahren, wie ein Fußgänger, der plötzlich vor dir geht“, sagte Matthew Timmis, einer der Co-Autoren der Studie, der britischen Zeitung The Guardian. „Sie werden nicht in der Lage sein, darauf so effizient zu reagieren, was das Verletzungsrisiko erhöht“, so Timmis weiter.

Nachdem wir das mit den hoppelnden Hasen geklärt haben, kommen wir nun zu den Smombies. Der Begriff steht für Smartphone-Zombie; für Menschen also, denen es schwerfällt, den Bildschirmdauerblickkontakt zu unterbrechen, die, vertieft in Messenger-Chats und Social-Media-Apps, blind durch die Gegend schlurfen. Der Zusammenschluss der Wörter “Smartphone” und “Zombies” wurde 2015 im Auftrag des Langenscheidt-Verlags von einer Jury zum so genannten “Jugendwort des Jahres” in Deutschland gewählt.

Mit dem Smartphone vor dem Gesicht keinen Blick mehr für den Straßenverkehr – diese riskante Smartphone-Nutzung will eine Stadt in Japan bald verbieten. Die Stadtverwaltung von Yamato nahe der Hauptstadt Tokio brachte ein Gesetz ins Stadtparlament ein, das es Fußgängern untersagt, im Straßenverkehr Smartphones zu benutzen. “Die Zahl der Smartphone-Nutzer hat schnell zugenommen und genauso die Zahl der Unfälle”, sagte Masaaki Yasumi von der Stadtverwaltung der Nachrichtenagentur AFP. Um solche Unfälle zu verhindern, wolle Yamato als erste Stadt Japans das Handy-Verbot einführen. Die japanischen “Sputniknews” berichteten, dass sich in einem Zeitraum von fünf Jahren die Anzahl an Unfällen, die Smartphone-Nutzung verschuldet waren, um 40 Prozent erhöhten. 2790 derartige Unfälle gab es 2018.

Yamato ist nicht die erste Stadt, die etwas derartiges unternimmt. Auf der US-amerikanischen Insel Hawaii in der Stadt Honolulu ist die Smartphone-Nutzung während des Laufens bereits verboten. Wer sich nicht daran hält, darf zahlen. 35 US-Dollar werden beim ersten Vergehen fällig, 75 US-Dollar, wenn man ein zweites Mal mit Handy in der Hand erwischt wird und satte 99 US-Dollar drohen beim dritten Verstoß. In Montclair City im Bundesstaat Kalifornien ist es sogar verboten,  sogenannte Over-Ear-Kopfhörer zu tragen, wenn man sich im öffentlichen Raum bewegt.

Vom Smartphone abgelenkte Fußgänger seien eine immense Gefahr für sich und andere, sagt auch Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) mit Sitz in Berlin. „Inzwischen piept ein Smartphone ständig wegen irgendetwas oder hat vermeintlich Interessantes zu bieten” – eine “unglaubliche Ablenkung für Verkehrsteilnehmer“.

Smartphone-Nutzung: Stau auf dem Zebrastreifen

Im Experiment hatten die Personen mit den gelben Mützen ein Handy in der Hand. Quelle: Hisashi Murakami, Kyoto Institute Of Technology; The University Of Tokyo

Japanische Wissenschaftler haben so (siehe Bild) z.B. untersucht, wie groß die Bremswirkung der Smombies auf normale Fußgänger ist. Hisashi Murakami von der Universität Tokio und sein Team erforschen eigentlich die Selbstorganisation von Menschenmengen. Die lässt sich beispielsweise an Zugängen zu Bahnsteigen beobachten: Obwohl sich die Personen untereinander nicht kennen und nicht miteinander sprechen, erscheint ihre Bewegung oft geordnet und aufeinander abgestimmt. Sie gehen jeweils rechts, die Langsamen an der Seite, die Schnellen in der Mitte, die eine springt in eine Lücke, der andere ahnt eine Kollision voraus und tritt vorsorglich zur Seite. Wenn da nur ein paar Leute sind, die sich mit ihrem Handy befassen, kommt der Fluss ins Stocken. Für die  Untersuchung wurden  die Störer mal vorn, mal in der Mitte, mal am Ende positioniert. Am größten war die Wirkung als die Handy-Probanden vorn liefen, berichten die Wissenschaftler. Sie bremsten die gesamte Menschenmenge am stärksten ab und es dauerte am längsten, bis sich die Richtungsspuren ausbildeten, die für guten Verkehrsfluss sorgen.

Die Smartphone-Nutzung beim Gehen kann zu schlimmen Unfällen führen, nicht nur beim Autofahren, sondern auch wenn Fußgänger unaufmerksam durch die Gegend laufen. „Ein Beispiel sind Straßenbahnen. Sie werden immer leiser und damit gefährlich für Menschen, die durchs Smartphone abgelenkt sind“, sagt Meike Jipp, Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin. „Einige Städte haben inzwischen Warnschilder angebracht, auf dem Boden, damit sie gerade für Handynutzer wahrnehmbar sind.“ Kritisch wird es vor allem dann, wenn sich zukünftig immer mehr e-Bikes, e-Scooter und e-Cars lautlos auf Straßen und Gehwegen unterwegs sind. Smombies mit Noise-Cancelling-Kopfhörern leben dann definitiv gefährlich.

Sicher-zu-Fuß – von wegen

Laut der Allianz-Studie „Sicher zu Fuß“ telefonieren zwei Drittel der Fußgänger regelmäßig, 35 Prozent lesen Texte oder sehen sich Bilder sowie Videos an, 43 Prozent schreiben Nachrichten. Fast die Hälfte, nämlich 45 Prozent, nutzt die Geräte dabei auch beim Überqueren von Straßen. Die Größenordnung der Smartphone-Nutzung als Unfallursache in Deutschland sei derzeit noch offen, so die Autoren der Studie. Völlig klar sei aber, dass es einen Zusammenhang zwischen der Konzentration von Fußgängern am Handy und kritischen Situationen sowie Unfällen gebe.

Walking Lines für Smombies

Einige Städte reagieren auf die hoppelnden Hasen und Smombies und haben spezielle Smombie-Fußwege, ähnlich wie Radwege, eingeführt. Wer auf einer solchen „Text Walking Lane“ unterwegs ist, kann sicher sein nirgends anzustoßen und behindert auch niemanden.

Eine Universität  in den USA hatte vor Jahren bereits eine “Text Lane” (Textspur) eingerichtet, auf der Studenten mit Smartphone laufen sollen. Die Hochschule ist damit nicht allein: Auch in China wurden schon Gehwege für Smartphone-Jünger gesehen, und in Antwerpen gibt es ebenfalls eine eigene Spur für Handy-Nutzer. Auch in Vilnius, Litauens Hauptstadt gibt es einen 300 Meter langen Smartphone-Gehweg. Mit einem dicken, pinken Streifen trennt sich der technologiebewusste Bürgersteig von seinem normalen Pendant. Der Haken dabei: Der barrierefreie Weg wird allerdings bisher kaum genutzt. Denn wer Zeit und Raum vergisst, weil er gerade eine wichtige Nachricht verschicken muss, der nimmt auch sehr wahrscheinlich die speziellen Kennzeichnung auf dem Boden nicht wahr.

Eine Stadt in Südkorea mit der weltweit höchsten Smartphone-Penetrationsrate hat an einer Straßenkreuzung flackernde Lichter und Laserstrahlen installiert, um “Smartphone-Zombies” optisch daran zu erinnern, den Kopf nach oben zu nehmen und auf den Verkehr zu achten. Autofahrer sollen zudem langsam fahren, um Unfälle zu vermeiden. Zusätzlich zu den roten, gelben und blauen LED-Lichtern auf dem Bürgersteig werden Smartphone-Benutzer auch über eine App gewarnt, die sie jetzt einen Zebrastreifen betreten und auf den Verkehr achten sollen.

„Kopf Hoch“-Funktion von Google bald für Android?

Kommen wir nun zur Heads-Up Funktion von Google. Das Unternehmen will sich recht bald dem Smombie-Thema annehmen und mit einer neuen “Digital Wellbeing”-Funktion entgegenwirken, so die englischsprachige Website xda-developers.com. Vorerst ist die Funktion gegen die Smartphone-Nutzung beim Gehen nur für Pixel Smartphones bestimmt, aber es ist absehbar, dass sie bald an alle Android-Geräte verteilt wird. Dabei geht es natürlich darum, dass der Nutzer seinen Blick nicht auf das Smartphone-Display, sondern auf die Straße, den Gehweg oder einfach auf die nächsten Schritte werfen sollte. Der Nutzer soll mit einem Signal davor gewarnt werden, den Kopf einfach nach oben zu richten und den Smombie-Status zu verlassen.

Ausgelöst wird es durch eine einfache Schritterkennung. Sobald das Smartphone ein Gehen bemerkt und der Nutzer das Gerät aktiv nutzt, könnte diese Warnung ausgelöst werden. Auf folgenden Screenshots können Sie sehen, wie dieses Feature umgesetzt ist. Wenn es scharf geschaltet ist und einen Smombie erkennt, wird eine mahnende Benachrichtigung eingeblendet.

Die App selbst dürfte recht simpel sein, aber die Krux ist natürlich die Umsetzung: Wie legt man Ausnahmen fest? Welche Apps dürfen benutzt werden, können sichere Orte festgelegt werden und wie sieht eine solche Warnung aus? Telefonieren (als Fußgänger) ist im Straßenverkehr vielleicht auch ablenkend, aber längst nicht so gefährlich wie ein Social Network oder andere Dienste. Wie üblich, dürfte auch für diese Funktion gelten, dass die Nutzer sie explizit aktivieren müssen. Wer dann ständig gewarnt wird, dürfte es wohl sehr schnell wieder abschalten – das gilt genauso für die Menschen, die das Smartphone nicht aus der Hand legen und die klassischen Digital Wellbeing-Features wieder deaktivieren. Aktuell wird das offenbar nur für Pixel-Smartphones ausgerollt und könnte wohl zu Beginn exklusiv angeboten werden.

Kein generelles Handy-Geh-Verbot

Fußgänger dürfen ihr Handy in Deutschland  zu jeder Zeit auf der Straße zücken, telefonieren und SMS lesen und beantworten. Die Straßenverkehrsordnung macht da keine Einschränkungen. Trotzdem gilt auch für Fußgänger am Handy §1 der StVO: “Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.” Das gilt selbstverständlich auch für Fußgänger und die Smartphone-Nutzung. Weiter heißt es: “Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.” Streng genommen kann man dieser Grundregel entnehmen, dass schon ordnungswidrig handelt, wer andere Verkehrsteilnehmer behindert, weil er mit dem Smartphone beschäftigt ist. Auch Fußgänger können daher mit einer Verwarnung von fünf bis zehn Euro belegt werden, wenn sie ihre Sorgfaltspflicht verletzen.

Was ziehen wir für eine Erkenntnis aus diesem Beitrag? Wer ständig mit gesenktem Blick auf das Handy durch die Welt läuft, verpasst die schönen Seiten des echten Lebens.

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